Haben wir einen Bundesrat von Politzwergen?
Der ehemalige Journalist, Max Frenkel, ist in einem Schweizer Monatsblatt jedenfalls dieser Meinung. Er glaubt wohl, den endlosen Ausfällen Köppels in seinem ‚Helvetischem Beobachter’ noch eins draufsetzen zu müssen. Dort war sogar von ‚paranoiden’ Bundesräten die Rede. Ausgerechnet diese mit konservativem Geld gesponserten Blätter lassen zunehmend politischen Respekt vermissen.
Und da das abgewählte Bundesratsmitglied immer wirrer über den ange-blichen Schwindel des parlamentarischen Wahlverfahrens, über die wahnsinnig schlechte Regierung poltert und die Öffentlichkeit der Bundesratsverhandlungen, dann ultimativ die totale Verantwortung der Parteien und zugleich die Volkswahl des Bundesrates usw. fordert und der schwer geprügelte Bundesrat jetzt selbst mit dem Megabegriff der ‚strategischen Führung’ Zuflucht sucht, drängen sich ein paar Tatsachen auf.
Klar ist, dass Wirtschaftsführer mit dem Debakel der Swissair und der UBS die grossen ‚strategischen Führungsfehler’ verschuldet und damit das Land und den Bundesrat in eine noch nie dagewesene Krise gestürzt haben. Dann hat er vorgekehrt, was ihm möglich war. Deshalb ist es in Unding, jetzt auch unsere Regierungsform in eine Krise hineinzureden. Noch fragwürdiger ist es, wenn die legale Abwahl eines Bundesrates zum Anlass für ein solches Krisengerede genommen wird.
Wir haben jetzt zwei Möglichkeiten: Entweder wir verzichten auf zu-sätzliche Einrichtungen für unser ohnehin überkompliziertes Regierungs-system und besinnen uns auf seine Stärken, praktizieren sie mit gesundem Menschenverstand und mit Verhandlungsbereitschaft zum Wohle Aller oder wir basteln weiter an ihm herum, indem wir den Bundesrat vom Volk wählen lassen, ihn auf neun Mitglieder aufstocken, zur Hälfte aus Frauen und Männer, seine Amtszeit beschränken, ihn auch während einer Legislaturperiode abwählen, einen starken Bundes-präsidenten intronisieren, ein Berufsparlament schaffen, die direkte Demokratie ausbauen und die Parteipolitiserung und Polarisierung weiter treiben. Fällt noch jemandem etwas ein? Ja richtig: man könnte den Bundesrat zur Hälfte vom Volk und zur anderen Hälfte vom Parlament wählen lassen, das Volk wählt die Zusammensetzungsformel und das Parlament die Personen; neue Parteien könnte man auch noch gründen.
Keine Frage: jedes Regierungssystem hat seine Vor- und Nachteile, auch unser Bundesrat. Er amtiert als Rat aus Gleichen mit einer nur flachen Hierarchie, weil wir möglichst keine Potentaten wollen. Diese Form des kollektiven Regierens und Entscheidens gehört zur politischen Identität unseres Landes. Gegen sie gibt es keine prinzipiellen Einwände, die ernstzunehmen wären. Deshalb müssen sich alle Reformforderungen an der Erhaltung und Verbesserung dieses kollektiven Regierens und Problemlösens rechtfertigen. Und dass diese Regierungsform seit 150 Jahren in ihrem Kern Bestand gehalten und die Schweiz weder institu-tionell noch personell in eine ernste Krise geführt hat, ist ein unum-stösslicher Beweis ihrer Funktionsfähigkeit, ihrer Anpassungsfähigkeit an neue Beteiligungsbedürfnisse und damit ihrer Legitimität. Das spricht für ihre Erhaltung, nicht für ihre Veränderung.
Wenn wir auch weiterhin an dieser kollektiven Ausübung der Regierungsgewalt festhalten wollen, dann sollte der Bundesrat erstens zahlmässig klein bleiben, zweitens muss die Verantwortung seiner Wahl beim Parlament sein und für eine ganze Legislatur gelten und drittens brauchen wir ein pragmatisches Verständnis der Kollegialität.
Also erstens: wir wissen alle, dass die Aufgaben des Bundesrates im Laufe der Zeit massiv zugenommen haben und dass man auch deswegen (seit 100 Jahren!) immer wieder seine Vergrösserung (und Entlastung) auf neun Mitglieder gefordert hat. Das wäre keine ‚Revolution’, würde aber die Kommunikation, die Koordination und die Leitung des Gremiums und damit die Kollegialtät und die Geschlossenheit des Aussenauftritts des Bundesrat weiter erschweren und mit der Vergrösserung der Bundesverwaltung organisatorisch letztlich mehr Probleme schaffen als lösen. Die verfassungsrechtliche Verankerung der Siebnerzahl hat dieses genuine Ratsmodell vor einer parteipolitisch motivierten Erweiterung und damit vor einer Erosion bewahrt und liess damit auch das Kollegialitätsprinzip mit seiner flachen Hierarchie intakt.
Zweitens: auch die Volkswahl ist immer wieder gefordert worden, seit es den Bundesrat gibt. Natürlich lassen sich dafür Argumente Pro und Contra finden, die jetzt nicht alle ausgebreitet werden. Sicher ist, dass sie die hergebrachte kollektive Ausübung der Regierungsgewalt und die ‚Zauberformel’ stark in Frage stellen und das Parlament schwächen würde. Das bewirkte auch für die direkte Demokratie und für das föderalistische Zusammenleben problematische Folgen. Ausserdem würde die Volkswahl den Bundesrat stark personalisieren, damit die Massenmedien stärken, damit alles in allem wesentlich mehr Nachteile als Vorteile erzeugen.
Drittens: Das Kollegialitätsprinzip ist schlicht die institutionelle Alter-native zu einem starken Präsidenten oder einem Premierminister, also ein Entwederoder. Sie stammt aus der urschweizerischen Praxis des Rates aus Gleichen. Rechtlich ist sie die Pflicht zur teils gemeinsamen teils departementalen Veranwortungsübernahme, soziologisch eine Versam-mlung von unterschiedlichen Personen, die beraten und beschliessen müssen und sich dabei auch auseinandersetzen und streiten dürfen und sogar müssen. Politologisch begründet auch, aber mehr als eine Koalitionsregierung und insofern eine starke Regierung und keine solche aus sieben Politzwergen.
Wir alle wissen, dass dieses kollektive Handeln des Bundesrates vor allem wegen dem Wachstum und der Komplizierung der Staatsaufgaben und mit dem dadurch gross gewordenen Einfluss der einzelnen Departe-mente immer schwieriger und konfliktreicher geworden ist. Diese Entwicklung gilt übrigens auch für das Parlament und für die Volks-abstimmungen. Wir machen aus dem Kollegialitätsprinzip aber einen Mythos, wenn jede Meinungsverschiedenheit im Bundesrat dramatisiert und skandalisiert wird. Die betriebswirtschaftlichen Propheten von mehr Führung und Management scheinen zu vergessen, dass der Staat keine Suppenfabrik, sondern die Politik häufig‚ein Boren in harten Brettern’ ist.
Überall wird deutlich, dass Probleme nur durch Kooperation und Ver-handlungen bearbeitet werden können. Neudeutsch heisst das corporate governance oder government, wie man will. Die Schweiz ist das erste Land, in dem auch eine politische corporate governance eingeübt wurde. Natürlich kann man die ungleich gross gewordenen Departements-geschäfte neu zusammenstellen und die interdepartementale Kooperation verbessern. Aber der Kleinstaat Schweiz hat genug politische Einrichtungen, um mit seine politischen Problemen zu bearbeiten, wenn er vernünftig bleibt. Einen Bundes-CEO benötigen wir nicht.
‚Videant consules’, passt auf, Politiker, rief man schon im alten Rom. Das gilt auch für Bern, aber möglichst ohne Populismus und Medien-populisten. Bleib der schweizerischen Errungenschaft der kollektiven Ausübung der Staatsgewalt treu, Bundesrat!
Leonhard Neidhart