Brächte uns die Volkswahl des Bundesrates mehr Demokratie?

Jedenfalls ist es ansprechend, das zu versprechen. Die Politstrategen unserer Zürcher SVP tun das. Ob sie es wirklich ernst meinen, weiss man nicht. Wahrscheinlich nicht. Offenbar ist ihnen der populistische Zünd-stoff ausgegangen; ihr entpflichteter Herr Bundesrat möchte noch kurz Professor werden und jetzt haben sie auch noch Angst vor dem poli-tischen Sommerloch. Warum dann nicht im hundertjährigen politischen Kalender nachschlagen? Dort findet man, dass diese Volkswahl sogar schon vor 15o Jahren und dann immer wieder vorgeschlagen wurde. Früher waren es die Linken, jetzt zur Abwechslung und zum politischen Gaudi halt mal die Rechten! Wir können es uns offenbar leisten, ewig an unserem Regierungssystem herumzumörgeln.

In Wirklichkeit geht es dabei um eine staatspolitische Angelegenheit al-lerersten Ranges. Die sprachgespaltene Willensnation will bekanntlich keinen Staatspräsidenten als politischen Sicherungsanker. Sodann ist unser Nebenberufs-Parlament nur sessionsweise in der Hauptstadt an-wesend und entscheidungsfähig. Deshalb kommt unserer Regierung, dem Bundesrat, eine ganz besondere Rolle zu. Er ist der Sicherungsanker un-seres Staatswesen. Deshalb soll er sorgfältig ausgewählt, zusammenge-setzt werden und, wenn möglich, auf Dauer im Amte blieben. Die Mehr-heit des Volkes will das so und es will auch, dass es dabei bleibt. Basta.

Natürlich kann man diese Volkswahl fordern. Aber es ist dann schon die Frage, ob dieser Streit unserem Land etwas bringt und ob man dafür gute Gründe hat. Deshalb seien jetzt ein paar Gegenargumente vorgebracht. Erstens: Unsere Bundesratswahlen haben insofern jetzt schon einen sehr demokratischen Charakter, als das Parlament jedes Mitglied einzeln wählt. Das gibt es in keinen Land der Welt. Zweitens nimmt man dem Parlament dieses Wahlrecht weg, dann schwächt man es, auch die Parlamentswahlen und mit ihnen auch die politischen Parteien. Das nationale Parlament soll zu Auswahl der Regierung nichts mehr zu sagen haben? Ein solcher Vorschlag kommt einer verantwortunglosen Ent-funktionalisierung und Entinstitutionalisierung der politischen Willens-bildung gleich. Dann braucht man auch die SVP bald nicht mehr. Wohin die Macht dann geht, ist höchst ungewiss und schwer kontrollierbar. Gleichzeitig stärkt man die Regierung samt ihrer Bürokratie.

In Tat und Wahrheit wäre die Volkswahl im Bund ein massiver Eingriff in unsere horizontale Gewaltenteilung und auch in den Föderalismus. Drittens: Wenn das Volk die sieben Bundesräte selbst wählt, dann muss es sie alle vier Jahre wieder wählen. Das bewirkt, dass die Bundesräte sich stärker um ihre Wiederwahl als um ihre grossen Amtsgeschäfte kümmern. Man sagt ja immer, sie seinen überlastet. Wie sollen sie denn auch noch ihre Wahlkämpfe führen?

Viertens: Der Wahlmodus ist völlig ungeklärt und kaum sinnvoll mach-bar. Die Zauberformel würde nicht mehr funktionieren und wer will dann die weniger populären Departemente übernehmen? Wer stellt die Kandi-aten auf und finanziert die Wahlkämpfe usw? Fünftens: Mit unserer direkten Demokratie können wir über Sachfragen entscheiden, deshalb wäre die Volkswahl des Bundesrates zu viel an Demokratie, eine frag-würde Personalisierung, ein ‚Führerkult. Soll sich die Schweiz das leisten?

Schliesslich sechstens ist der Vergleich mit den Präsidentenwahlen in den USA falsch. Dort geht es nur um eine einzige Person und das grosse Land benötigt einen ‚Ersatzkönig’. Die Schweiz nicht. Wichtiger noch ist, dass wir mit unserem Bundesrat eine Art kollektiven Präsidenten, eben eine Rat haben, der eine stärkere Personalisierung durch die Volkswahl nicht verträgt. Dieses ‚Rätesystem’ ist eine bewährte politische Speziali-tät unseres Landes, das man mit der Volkswahl zerstören würde. Es gibt keine guten Argumente für die Volkswahl. Deshalb ist es unverständlich, was einige Zürcher SVP Herren da wieder anzetteln wollen. Quo vadis gesunder, Schweizer politischer Sachverstand?

LeonhardNeidhart

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