Wie werden wir regiert?

In der Samstagsausgabe des Tages-Anzeiger vom 28. Februar 2009 erschienen zwei Berichte über das Regieren, der eine über Nachbar Italien, der andere über Nachbar Deutschland. Sie lösten diese Nach-fragen über Regieren in unserem Land aus.

Will eine solche Reflexion ‚Hand und Fuss’ haben, muss vorweg die Optik eingestellt werden. Erstens: Regieren ist überall ein komplexes, sogar immer komplexer werdendes und oft sehr konfliktträchtiges Handeln und Entscheiden, mit dem Gefahren abgewehrt, die Befriedigung von Bedürfnissen, Interessen und Werten gesichert, mit dem auf Veränderungen reagiert, mit dem gesellschaftliche Verhältnisse geregelt und gesteuert werden sollen und das der demokratischen Zustimmung bedarf. Der Katalog der Aufgaben liesse sich verlängern. Dabei muss zwischen den Ursachen oder Gründen des Handelns, der Wirkung (dem Zielereichungsgrad) der ergriffenen Massnahmen und dem jeweils überhaupt möglichen staatlichen und nationalen Handlungsspielraum unterschieden werden.

Zweitens: Dieses Handeln und Entscheiden wird ermöglicht und begrenzt durch die staatlichen Institutionen bzw. durch die Art des Regierungs-systems. Politik wird über anders gemacht: Beispiel Präsidialsystem der USA, Kollegialsystem und Referendum der Schweiz. Jede Institution hat ihre Vorteile und Nachteile, keine ist ein ‚Zaubermittel’. Drittens wird das Regierungshandeln gesteuert durch die politische Kultur, insbe-sondere der Vorstellungen und Erwartungen über die Rolle des Staates bzw. Bundes (siehe Bankgeheimnis). Viertens sind es immer Personen, die regieren und damit das Regieren mit ihrer Persönlichkeitseigen-schaften so oder anders beeinflussen. (Beispiele erübigen sich). Und, last but not least, wird Politik in der Schweiz teils erleichtert, teils auch erschwert, weil sie eine kleines (d.h. schwaches, unbedeutendes), zudem ein mehrsprachiges und weil sie ein traditionsgebundes Land ist. Beispiel: Während die Grossbank UBS und damit wichtige Teile der Schweizer Wirtschaftsinteressen von den USA herausgefordert werden, hat unser Parlament Interesse und Zeit, zu diskutieren, ob die Dienst-pflichtigen ihr Gewehr noch zu Hause behalten sollen oder nicht.

Wie werden wir regiert? Mit der direkten Demokratie, dem Proporz, der ‚Zauberformel’ und der Volkswahl der Regierenden wollen wir möglichst viel mitregieren und zugleich möglichst wenig regiert werden und ergreifen dann das Referendum. Dabei wird unser Land extrem dezentralisiert und damit vielfältig regiert. Wir leisten uns etwa 2 800 Gemeinderegierungen, 25 kantonale Regierungsräte und eine faktische Allparteienregierung im Bund. Das hat zum Vorteil, dass unser Landesinnere höchst intensiv, ja punktgenau und an die jeweiligen Gegebenheiten angepasst regiert wird. Zum Nachteil gehören die dabei entstehenden hohen Koordinationskosten (z.B. Harmos) und erhebliche Unterschiede und Ungleicheiten (z. B. Steuern, Gebühren) usw..

Auch unsere regierenden Räte sind eine Dezentralisierung des Regierens bzw. der politische Macht, mit der viele beteiligt werden können, dann aber aufeinander abgestimmt werden müssen. Das erzeugt Konflikte, kostet Zeit, erzwingt Kompromisse, wirkt aber auch integrativ und kann, gerade in Krisen, gemeinsames Handeln ermöglichen. Einen Führer und grossen Koordinator wollen wir nicht. (Eigentlich könnte man auch das Zürcher Stadtpräsidium so rotieren lassen wie im Bundesrat).

In den Gemeinden und Kantonen bestellen die Wahlberechtigten (auch) die Regierenden selbst, im Bund ist es die Bundesversammlung und zwar je einzeln, während z.B. in den USA der Präsident seine Minister selber auswählt und damit, wie man liest, offenbar seine Schwierigkeiten hat. Unsere Wahlart ist ein hohe Hürde der Selektion. Sie hat bisher verhindert, dass ‚politische Extremisten’ in unsere Regierungen einzogen. Kritiker reden von Mittelmässigkeit. Mag sein, aber die gibt es überall. Zudem schafft diese Wahlart eine breitere Legitimations-basis. Sie kann die Regierenden in Stande setzen, das Notwendige und Unpopuläre möglich zu machen und auch in Krisenzeiten konfliktbegrenzende Entscheidungen erzeugen.

In aller Regel wählen wir unsere Regierenden nicht ab und bejubeln sie nur ausnahmsweise. Sodann sind Abwahlen, sei es per Volksentscheid oder, wie erlebt in der Bundesversammlung, eben ein ‚unnötig’ konflikt-reicher Vorgang, der die Logik unserer kollektiv-regierenden Räte stören kann und den sich die kleine Willensnation nicht leisten sollte. Ausserdem bewirkt dieses geringere Risiko der Abwahl, dass unsere Regierenden weniger grosse (dann doch nicht einlösbare) Ver-sprechungen machen und dass sie sich weniger um ihren persönlichen Machterhalt und um ihre Popularität bemühen müssen, sich stattdessen stärker um ihre Sachgeschäfte kümmern können.

Wie werden wir regiert? Wir können uns zu guten Teilen selber regieren, müssen damit aber auch Verantwortung übernehmen und nicht (nur)auf die Behörden abschieben. Das ist der Vorteil des kleinen, einfacher und besser regierbaren Staates. Ein natürliches ‚Kapital’, das durch gesunden Menschenverstand gepflegt und nicht durch Populismus und Grössenwahn verheizt werden sollte.

Leonhard Neidhart

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