Regierungsbildung nach Schweizer Art

Kann man nach dem Strom der Verlautbarungen und des Palavers über die Nachwahlen in den Bundesrat noch Informatives zu Papier bringen? Man kann, indem man die besondere Art der Regeln und Abmachun-gen ins Auge fasst, mit denen unsere Bundesregierung gewählt wird. Einiges dazu ist nämlich sehr ‚hart’ in der Verfassung, anderes nur ‚weich’ durch Abmachungen und ein Rest überhaupt nicht geregelt. All das liefert immer wieder Stoff für Diskussionen und für (zu viel) Kritik und hat, wie alles, seine Vor- und Nachteile, um die es jetzt gehen soll.

‚Hart’ geregelt ist zunächst die Zahl der Regierungsmitglieder. Die kleine Anzahl von nur sieben, wobei gemäss Bundesverfassung auch noch die Landesregionen und Sprachen zu berücksichtigen sind, hat die Plätze im Bundesrat immer schon knapp und damit die Wahlen spannend und oft kontrovers gemacht. Aber diese strenge Regel entzog ihn der parteipoli-tisch motivierten Veränderung und begünstigte eine organisationsspar-ende Bundesadministration. Noch wichtiger ist, dass sie zu den wichtigen Funktionsvoraussetzungen des kollektiven Regierens gehört.

Seinerzeit mussten die ‚Schwarzen’ ein halbes und die ‚Roten’ sogar ein ganzes Jahrhundert auf einen Bundesratssitz warten. Die Frauen sind inzwischen gut vertreten. Weil die Zahl sieben aber eine ungerade ist und sich deshalb nicht für Männer und Frauen halbieren lässt, ‚droht’ jetzt möglicherweise eine Übermacht der Frauen. Schliesslich stehen die Grünen in der Warteschlange zum Bundesrat. Dennoch: Mit der ‚Zauber-formel’ haben wir lange Jahre, trotz der kleinen Mitgliederzahl, Platz für die Meisten gefunden und damit gute Zeiten gehabt. Jetzt wird es schwieriger, wie auch das Konkordanzgejammer zeigt.

‚Hart’ ist auch die Regel, wie unsere Bundesräte gewählt werden. Während im Ausland die Präsidenten oder Regierungschefs ihre Kabi-nette weitgehend selbst zusammenstellen können, müssen bei uns die Bundesräte (gemäss Verfassung!) Mitglied für Mitglied vom Parlament gewählt werden und dieses darf jene während der Legislaturperiode nicht abwählen.

Und weil keine Partei ihre Kandidaten allein durchbringen kann, sind alle auf gegenseitige Unterstützung angewiesen, was seinen ‚Preis’ (‚Ränke-spiel’?) hat, die Parteilichkeit (zu Gunsten des Parlamentes und des Bundesrates) aber etwas zurückbindet. Das ist wichtig, weil die Über-parteilichkeit des Bundesrates zu den wichtigen Legitimationsquellen der Willensnation Schweiz gehört. Also mischen sich die Regierungs-parteien auch nicht in Rücktrittsfragen der ‚Konkurrenz’ ein. Damit bleiben Amtszeit und Rücktritt unserer Bundesräte ungeregelt und deshalb können sie vergleichsweise lange amtieren. (Deshalb wird es schwierig, wenn die Kollegialität nicht funktioniert.) Vorteilhaft an dieser Regelungslücke ist aber, dass wir unsere Regierung immer nur sukzessive verändern, was Konflikte reduziert, Kontinuität und Stabilität verbürgert und auch die Einarbeitungskosten tiefer hält.

Hinzu kommt, dass exakt diese kleine Zahl von Bundesräten ihre Geschäftsbereiche gross und die Mitglieder und den ganzen Bundesrat damit politisch stark machen. Auch das wirkt auf die Wahlen zurück. Deshalb wollen die Parteien ihre Bundesräte so lange als möglich halten. Ausserdem: weil es nur wenige Bundesräte sind, kennt man sie gut und deshalb verläuft ihre Wahlprozedur stark personalistisch, was angesichts der wachsenden politischen Rolle des Fernsehens seine zwei Seiten haben kann. (Werden künftig gut aussehende Kandidatinnen und Kandidaten bessere Wahlchancen haben’?)

‚Hart’ ist schliesslich auch die Regel, dass sich die Sieben zusammen-finden, ihre Beschlüsse kollektiv vertreten, verantworten und sich gegen-seitig selbst kontrollieren sollen und dass keiner länger als ein Jahr lang als Präsident (unter gleichen) ‚führen’ darf. Dieses Kollegialprinzip ist eine Art ‚kollektiver Präsident’ und es zählt zu den identitätsstiftenden und konfliktbegrenzenden Errungenschaften unseres Landes, an dem wir festhalten sollten. Seine Praxis ist mit der Zunahme der Aufgaben und der Macht des Bundesrates allerdings schwieriger geworden. Entsprechend stärker wirken seine Anforderungen auf die Bundesratswahlen zurück. (Wohl auch deshalb rufen viele nach einem Übermenschen aus der Wirt-schaft. Warum Leiter wichtiger Unternehmen in den Bundesrat wechseln und ihre Firmen im Stich lassen sollten, leuchtet nicht unbedingt ein.)

Zu den Merkmalen und Bedingungen dieses Kollegialitätsprinzipes gehört sodann die doppelte Bindung und Abhängigkeit unserer Regier-ungsmitglieder zugleich vom Bundesrat und von ihren Parteien. (Damit ist ihre Abhängigkeit von ihren Chefbeamten noch gar nicht benannt.) Das Parlament ist dafür verantwortlich, dass Leute gewählt werden, die diese doppelte Kontingenz gestalten können. Eine stärkere Parteipoli-tisierung und auch eine Volkswahl des Bundesrates, wie die Zürcher SVP das betreibt, würde unser schweizerisches Modell des kollektiven Regierens, dem wir hohe Stabilität und eine krisenfreie Regierung seit sehr langer Zeit verdanken, in Frage stellen.

‚Hart’ sind endlich die Regeln, dass der Bundesrat dem Parlament nicht mit Neuwahlen drohen und dieses dem Bundesrat keine Vertrauensfrage stellen kann. Beiden kann aber das ‚Volk’ mit dem Referendum drohen und auch das wirkt sich indirekt auf die Auswahl der Regierungs-mitglieder und auf Arbeit und die Kooperation der beiden Gewalten in Bund aus.

Zu den ‚weichen’ Regeln und Abmachungen zählen die ‚Zauberformel’ im Sinne eines arithmetischen Proporzes, die Beteiligung der Geschlech-ter, die Konkordanz als politische Kooperationsbereitschaft ohne expli-zitem Regierungsprogramm, auch die Geschäftsverteilung im Bundesrat und selbstverständlich die Wahlvoraussetzungen für einen Bundesrat. Nicht geregelt sind, wie schon vermerkt, die Amtsdauer und der Rücktritt. Zu Reden geben in unserm Land regelmässig sowohl die ‚harten’ wie auch die ‚weichen’ Regeln unserer Regierungsbildung, vor allem das Einzelwahlverfahren der Bundesräte, die Zusammensetzung und die Konkordanz. (Überhaupt palavern wir zu häufig und zu grundlos an unserer Regierungsform herum.)

Ein wichtiger Vorteil der ‚weichen’ Regeln besteht darin, dass sie dem Parlament, dem Bundesrat und den Parteien Spielräume offenlassen, ohne die unsere ewige grosse Regierungskoalition keinen Bestand hätte. Deshalb sollten die Fraktionen die Wahlvorschläge der Gegenpartei gegebenenfalls ablehnen dürfen genauso wie sie als Regierungsparteien immer wieder auch Opposition betreiben können. Auch Bundesräte sollen sich für ihre Departementsgeschäfte exponieren dürfen, ohne dass damit immer sogleich der Untergang der Konkordanz beklagt wird. Die Konkordanz ist kein ‚geschlossenes Kloster’.

Im Ganzen haben sich unsere Regeln der Regierungsbildung und auch unsere Regierungsform in einmaliger Weise bewährt. Wir hatten nie eine Regierungskrise und nie hat ein Schweizer Regierungsmitglied einen schweren politischen oder persönliche Fehler verschuldet. Gewiss sind manche der genannten Regeln schon alt und lückenhaft. Aber niemand kennt eine mehrheitsfähige Alternative. Deshalb liegt es vor allem an der Bundesversammlung, verantwortungsbewusst und ohne überflüssige Parteilichkeit mit dem herkömmlichen Regelwerk der Regierungsbildung umzugehen.
Leonhard Neidhart

Zurück