Keine Direktwahl des Bundesrates

Noch nie in der Geschichte der Schweiz sei das Ansehen des Bundesrates so gering gewesen wie heute, schrieb der Zürcher Nationalrat Christoph Mörgeli vor kurzem und einmal mehr. Weitgehend Polemik; vielmehr ist (leider) wahr, dass noch nie in der Geschichte unseres Landes die Institution Bundesrat und seine Mitglieder aus ungezügeltem partei-ischen Machtwillen heraus so einseitig und so permanent in ein schiefes Licht gerückt werden, wie derzeit vor allem durch Teile der SVP. Aus-gerechnet von einer Partei also, die unablässig verkündet, die traditionalen Werte des Landes verteidigen zu wollen. Leider wahr ist ausserdem, dass das Instrument der Volksinitiative noch nie derart für den Zweck der politischen Rache eines Verlierers missbraucht wurde wie in diesem Fall, sogar für eine staatspolitische Aktion ersten Ranges. Zudem in populistischer Manier und noch von rechtsbürgerlicher Seite. Quo vadis Helvetia?

Natürlich kann man über den Vorstoss ‚Volkwahl’ des Bundesrates diskutieren. Man hat es seit 1848 immer wieder getan. Nur sollte man sich fragen, ob es derzeit opportun ist. Dann müssen aber die ausschlaggebenden Argumente auf den Tisch, und dürfen nicht nur Ressentiments mobilisiert und instrumentalisiert werden. Dafür sind die Zeiten zu ernst und die Veränderung einer staatstragenden Institution zu wichtig. Aber es gibt keine wirklich überzeugenden Argumente für eine Direktwahl, gravierende dagegen sehr wohl. Das soll jetzt kurz aufgezeigt werden. Übrigens: Vom ‚Volk’ wird der Bundesrat über die Parteien und die Bundesversammlung jetzt schon gewählt, und zwar Mitglied für Mitglied, was einzigartig ist. Fast überall sonst stellt der Regierungschef seine Minister zusammen.

Führt man die Debatte seriös, dann muss klar sein, dass Wahlverfahren fundamentale Mechanismen eines jeden Regierungssystems sind, so dass eine Änderung weitreichende Konsequenzen für die gesamte politische ‚Apparatur’ haben kann. Würde man den Majorz einführen, dann hätten wir eine andere politische Ordnung. Hinzu kommt, dass wir ein Regier-ungssystem haben, in dem drei verschiedene Organisationsprinzipien, nämlich ein föderatives, ein repräsentativ-semiparlamentarisches mit einem direktdemokratischen lose verkoppelt sind. Daraus folgt, dass eine Änderung an einem dieser Elemente Auswirkungen auf alle anderen hat und das Gefüge der Organisation und Verteilung der Gewalten abwandeln kann, die vertikale wie die horizontale.

Dazu erstens: Eine Direktwahl des Bundesrates hätte eine massive Zentralisierung und Personalisierung der gesamten politischen Betriebes zur Folge (man schaue in die Nachbarschaft), was die Landesregionen, die Kantone und die politischen Parteien zugunsten der nationalen, bezahlten und unbezahlten Massenmedien, der PR-Agenturen und Umfrageforscher, der Interessenverbände und der politischen und finanziell potenten Selbstdarsteller schwächen würde. Sie wäre ein irreparabler Abbau von Föderalismus. Ausserdem würden sie uns zur ohnehin konfliktreichen direkten Demokratie noch einmal eine Portion Auseinandersetzungen bescheren. (Laufende und gelaufene ‚Volks-initiativen’ lassen grüssen.)

Zweitens: Eine solche Direktwahl würde auch die horizontale Gewalten-teilung ändern, die jetzt schon starke Regierung weiter stärken und damit das Milizparlament zwangsläufig schwächen. Dieses hätte dann noch grössere Mühe, die Exekutive und die Verwaltung zu kontrollieren. Als Folge davon verlören die Fraktionen, die Parteien und schliesslich auch die Parlamentswahlen an Einfluss und Bedeutung. Ist das mehr Demokratie, wie Nationalrat Mörgeli behauptet?

Drittens: In dieser Debatte ist es wichtig zu berücksichtigen, dass wir eine besondere nationale Regierungsform praktizieren. Zum einen hat die Schweiz keinen Staatspräsidenten als ruhenden Pol, kein starkes Verfassungsgericht für den Streitfall, zudem ein Parlament, dass nur temporär in der Hauptstadt anwesend ist. Der Bundesrat ist deshalb seit Alters die einzige, feste (und anerkannte) politisch-institutionelle Klammer unserer vielgestaltigen und zersplitterten Willensnation.

Aus diesem Grund haben die Verfassungsväter ihn klein gehalten, Mitglied für Mitglied aus der Reihe bekannter, bewährter und berechen-barer Parlamentarier wählen lassen, damit stark und zugleich kontrol-lierbar gemacht. Dieses Verfahren hat sich in guten und in schweren Zeiten einmalig bewährt und das Land vor Instabilitäten der Regierung oder vor Regierungskrisen bewahrt. Das ist von hoher demokratische Qualität. Deshalb es ist verantwortungslos, dieses Verfahren ohne Not zu ändern und es, wie Mörgeli und der Abgewählte, als ‚Hintertreppen-intrige’ und Kunkelei usw. zu bezeichnen. Überhaupt würde sich die Bundesversammlung lächerlich machen, wenn sie auf die Wahl ihrer Regierung verzichtete.

Zum anderen gehört es zu den besonderen und bewährten Eigenheiten unserer Regierungsform, dass Macht und Verantwortung, Erfolge und Misserfolge kollektiv, nämlich durch einen Rat und nicht durch eine einzelne Führungsfigur, also gemeinsam ausgeübt und getragen werden. Wir bezeichnen das als Kollegialsystem samt ‚Zauberformel’ und Kon-kordanz bzw. als Verhandlungs- statt Mehrheitsdemokratie. Das hat uns zwar immer wieder Kompromisse aufgenötigt, aber politische Konflikte gemässigt, innenpolitischen Frieden gestiftet und grosse wirtschaftliche Vorteile verschafft. (Wollen denn jene, die nach einem starken, vom Volk direkt gewählten Bundesrat rufen, mehr Staat und mehr Bund?)

Wenn die Bundesräte vom Volk gewählt werden, dann ist es selbstver-ständlich, dass sich jedes Mitglied zuerst um seine Wiederwahlchancen kümmert. Dadurch würde das Prinzip der Kollegialität gefährdet und die Departementsverteilung schwierig. Wahrscheinlich wäre ein derart plebiszitär bestellter Bundesrat ohne starken Bundesratspräsidenten gar nicht funktionsfähig, was das Kollegialität ganz aushebeln würde.

Hinz und Kunz werfen dem Bundesrat vor, er hätte keine Strategie, ohne selbst eine vorgeschlagen zu haben, und es fehle ihm an Einigkeit. Erstens kann er auch keine Wunder wirken, wenn Grossbanken Milliarden verbrennen, unkorrekt mit dem Recht anderer Länder umgehen und das Land deshalb unter Druck gesetzt wird. Auch ein vom Volk gewählter Bundesrat könnte das nicht. Zweitens neigen viele dazu, das Kollegialprinzip zu mythologisieren und skandalisieren dann jeden pointierten Auftritt. Doch der Bundesrat ist kein Samariter-vereinsvorstand, sondern eine Regierung, ein Rat, in dem auch gestritten und gekämpft werden darf und muss. In den Koalitionsregierungen unserer Nachbaren gibt es ganz andere Auseinandersetzungen.

Schliesslich ist das Verfahren einer Volkswahl unklar. Wer kannte den neuen Bundesrat aus Neuenburg denn schon, damit er ihn hätte wählen können? Und sollen die Bundesräte künftig während ihrer Amtszeit zu Popularitätszwecken noch mehr Hände schütteln und für sich Wahl-kämpfe bestreiten, möglichst in allen Landessprachen? Und wer soll diese organisieren und finanzieren? Ausserdem weiss das Parlament am besten, wie gut oder weniger gut Bundesräte arbeiten und es kann sie deshalb wirksamer kontrollieren. Umgekehrt weiss auch der Bundesrat, dass das Parlament ihn besser kontrollieren kann als das unorganisierte Volk. Also passt er besser auf. Sind die Bundesräte direkt gewählt, dann spielt dieser wichtige Mechanismus nicht mehr. Deshalb muss die Bundesversammlung die Regierung wählen. Die Initiative der SVP ist ein Schildbürgerstreich, politisch-populistisches Gaga und nicht unter-stützungswürdig.

Leonhard Neidhart

 

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